Wie können wir Verantwortung organisieren, um nachhaltiger zu leben?
07.01.2025
Mit zunehmend wissenschaftlich fundiertem Wissen werden die ökologischen und sozialen Auswirkungen des modernen Lebensstils auf unseren Planeten deutlich. Trotzdem wird weitgehend an Gewohnheiten mit großem Kohlenstoff-Fußabdruck festgehalten. Dies ist insbesondere auf das „Verantwortungs-Pingpong“ zurückzuführen, das die aktuelle Klimapolitik kennzeichnet und sinnvolle Fortschritte behindert. Eine Studie am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) befasst sich mit diesem Paradox und fragt, welche anderen Formen der Organisation von Verantwortung existieren könnten, die den notwendigen Wandel mit sich bringen.
Noch immer besteht oftmals die Vorstellung, dass der Geldschein an der Kasse im Grunde ein Wahlschein ist, mit dem Verbraucher und Verbraucherinnen den Markt beeinflussen könnten. Verantwortung für nachhaltigen Konsum wird mit dieser Erzählung oftmals auf Individuen abgewälzt. Übersehen wird dabei jedoch oft die Rolle von Unternehmen, die Konsumierende durch ihr Überangebot zum Überkonsum animieren, sowie politischen Akteuren, die sogenannte Klima-Governance betreiben und vor effektiver Regulierung nachhaltigen Konsums zurückschrecken. Um einen Wandel von Konsummustern und Lebensstilen zu ermöglichen, müssen Verantwortungsdiskurse rund um diese Akteure analysiert und hinterfragt werden. Eine neue Studie des RIFS-Teams vom EU-Projekt 1,5° Lifestyles, veröffentlicht in „Consumption and Society“, untersucht diese Diskurse mit einem multimethodischen Forschungsansatz. Dieser basiert auf ko-kreativen Stakeholder-Laboren mit Vertreterinnen und Vertretern aus Regierungen, Unternehmen und Haushalten, Experteninterviews und Delphi-Workshops, die in den fünf europäischen Ländern Deutschland, Ungarn, Lettland, Spanien und Schweden stattfanden.
Die Hauptfragen waren: Wem und auf Grundlage welcher Argumente und Narrative weisen die europäischen Klima-Governance-Stakeholder Verantwortung zu? Inwieweit wird ein Verantwortungs-Ping-Pong sichtbar, das zur kollektiven Vermeidung von Verantwortung führt? Wo lässt sich andererseits ein Potenzial erkennen, zu einer gemeinsamen Idee von Verantwortung zu gelangen, die nicht lähmt, sondern alle voranbringt und aus gegenseitigen Schuldzuweisungen herausführt?
„Dass Verantwortung zumeist auf Einzelpersonen in ihrer Rolle als Konsumierende abgewälzt wird ist nicht sinnvoll“, so Studienautorin Lea Melissa Becker. „Es wird von einzelnen Individuen erwartet, die Verantwortung für Nachhaltigkeit übernehmen, während die strukturellen Bedingungen völlig außer Acht gelassen werden. Dieses Narrativ macht Einzelne für systemische Ergebnisse verantwortlich, auf die sie aber nur begrenzt Einfluss nehmen können. Das führt nur zu Frustration und Schuldzuweisungen - am Ende ist‘s eine Sackgasse.“
Wie gelingt die Auflösung des Verantwortungs-Pingpongs und das Ende der Blockade?
Die Autorinnen und Autoren sehen in der Organisation geteilter Verantwortung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren das Potenzial, eine Grundlage für eine effektivere Klima-Governance im Allgemeinen und für das Erreichen von 1,5°-Lebensstilen im Besonderen zu schaffen. Die Studie zeigt anhand der Perspektiven von Stakeholdern auf Verantwortung die tiefsitzenden Hindernisse auf, die den Wandel in europäischen Demokratien verhindern. Darüber hinaus offenbart sie eine Reihe spezifischer Bedenken – etwa in Bezug auf autoritäre Tendenzen und Greenwashing. Demgegenüber argumentieren die Autorinnen und Autoren: Politische Entscheidungstragende, Forschende, Unternehmen, Haushalte und Zivilgesellschaft sollten gemeinsam Nachhaltigkeit als ein überragendes Gebot neu definieren und als Leitziel annehmen. Für einen echten Wandel bedarf es gemeinsam getragener und geteilter Verantwortung, anstelle der konstanten Verschiebung von Verantwortung, insbesondere auf Konsumentinnen und Konsumenten.
Konkret erfordert dies echte, diverse und tiefgehende Partizipation von Individuen in ihrer Rolle als Bürgerinnen und Bürgern, öffentliche Rechenschaftssysteme, die die Organisation geteilter Verantwortung praktisch ermöglichen, sowie tiefgreifende strukturelle Veränderungen des globalen Wirtschaftssystems entgegen einer bedingungslosen Wachstumsorientierung und für auf den Menschen ausgerichtete Wirtschaftspraktiken. Verantwortung sollte unter diesen Bedingungen als kollektiv geteilt, gerechtigkeits- und zukunftsorientiertes Konzept verstanden werden, das in soziale Normen eingebettet und auf künftige Ergebnisse ausgerichtet ist.
Publikation:
Pia Mamut, Doris Fuchs, Lea Becker, Karlis Laksevics, Halliki Kreinin, and Janis Brizga: From responsibility ping-pong to shared responsibility for 1.5° lifestyles? Examining European stakeholder perspectives, Consumption and society. doi:10.1332/27528499Y2024D000000039.