Klimagerechtes Theater – was könnte das sein?
27.11.2024
“Wandel verhandeln – nachhaltig in Brandenburg” ist ein Podcast über den Wandel Brandenburgs zu einer nachhaltigen und gerechteren Gesellschaft. Darin greifen wir Konflikte in verschiedenen Transformationsfeldern auf, rücken aber auch positive Folgen und neue Ideen der Transformation in den Mittelpunkt und lassen Betroffene sowie Verantwortliche zu Wort kommen. Die Folge „Klimagerecht Theater machen“ hat Bemühungen zum Thema, Kulturveranstaltungen nachhaltiger zu gestalten.
Im Frühjahr habe ich etliche Vor- und Nachmittage in der sog. Reithalle B verbracht, einem denkmalgeschützten Preußengebäude im Potsdamer Kulturquartier Schiffbauergasse, einen Steinwurf von unserem Institut entfernt. Seit langem dient dieser Ort dem Hans Otto Theater (HOT) als Probebühne. Ich beobachtete dort Proben des Stückes „eure paläste sind leer (all we ever wanted)“, geschrieben von Thomas Köck, unter der Regie von Moritz Peters. Köck war vor etwa zehn Jahren mit seiner Klimatrilogie einer der ersten deutschsprachigen Theaterautoren, die versuchten, einen Zugang zu planetaren sozialökologischen Themen zu entwickeln – angesichts der Globalität, Komplexität und zeitlichen Tiefendimension dieses Themas kein leichtes Unterfangen. Als die jetzige Intendantin des Potsdamer HOT, Bettina Jahnke, 2018 ihr Amt antrat, eröffnete sie die Spielzeit mit dem dritten Teil jener Trilogie, „paradies spielen“, inszeniert auch damals bereits von Peters. Dass sechs Jahre später nun wiederum ein Köck-Stück auf den Spielplan gesetzt wurde, und wiederum eines mit Globalisierungsthematik, deutete auf die Ambition der Intendanz, globale und planetare Motive weiter im Diskurs zu halten.
Noch bemerkenswerter an „eure paläste“ und der eigentliche Grund für meine Probenbeobachtung sowie Interviews mit Mitarbeiter*innen des Theaters war, dass „eure paläste“ als Modellproduktion für klimaneutrales Produzieren fungierte. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes (KSB) im Rahmen ihres „Fonds Zero“, war das HOT eine von 22 Kultureinrichtungen der ersten Förderrunde, die 2023/24 erprobten, auf welche Arten man die durch eine Theaterproduktion verursachten Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren könne. Dass man dabei nicht auf Null würde kommen können, war von Anfang an klar und ein Grund, weshalb bis zu einem Prozent der Fördermittel für Kompensationszahlungen aufgewendet werden durften und weshalb die KSB „Klimaneutralität“ zum Leitbegriff ihres Förderprogramms machte. Bei den Theaterleuten, die sich an einer Minderung ihrer Emissionen versuchten, war er nicht sehr beliebt, wie sich in meiner Studie herausstellte. Viele empfanden ihn entweder als nichtssagend oder als irreführend; sogar von „Etikettenschwindel“ war die Rede.
Im Theaterbetrieb deuten die Probebühnenausstattung und die Probenkostüme das, was am Ende wirklich auf Bühne zu sehen sein wird, in der Regel nur an; oft genügen dafür Elemente, die dem reichhaltigen Fundus einer Spielstätte entnommen werden, während man die Ausstattung für die Endproben und Vorstellungen gänzlich neu anfertigt. Bei „eure paläste“ aber war auch das meiste bei den Aufführungen verwendete Material Gebrauchtware. Als Richtwert dafür hatte das HOT eine Quote von mindestens 50 Prozent Wiederverwendung (statt Neuanfertigung) vorgegeben, die im Falle der Kostüme mit nahezu 100 Prozent sogar deutlich übererfüllt wurde. Und auch auf der Bühne herrschte Sparsamkeit: Lediglich eine Reihe von Gebetshockern in dem als „missa in cantu“ konzipierten Stück wurde komplett neu angefertigt – aus dem CO2-bindenden Werkstoff Holz. Eine für die postapokalyptisch-traumartige Grundatmosphäre der Bühne wichtige große Pflanze wurde nicht künstlich gefertigt, sondern in Kooperation mit der Biosphäre Potsdam gezüchtet – und so weiter.
Gegenüber bühnenbildnerischen Experimenten, die Theatermacher*innen im Kontext anderer „Zero“-Produktionen unternahmen, etwa mit Pilzmyzel in Braunschweig oder mit der Beschränkung auf Tische aus lokalen Haushalten bei einer Inszenierung der Leipziger Oper, wirkt der Potsdamer Ansatz insofern bescheidener, als er die Aufmerksamkeit der Zuschauer eben nicht auf eine bestimmte Ästhetik lenkt, die mit der klimagerechteren Produktionsweise einherginge. Stattdessen soll die Ausstattung möglichst “genauso gut“ aussehen wie eine herkömmliche. Der hier anklingenden Frage gegenüber, ob und wie ein treibhausgassensibles Produzieren einhergehe solle mit künstlerischen Experimenten, sind die Fördergrundsätze von „Fonds Zero“ indifferent; jede/r kann es hiermit halten, wie er oder sie es möchte. Am HOT zumindest wurde das Förderprogramm nicht unbedingt als Anstoß zu solchen Experimenten begriffen; allerdings fanden sich auch relativ spärliche Hinweise auf die spiegelbildliche Sorge, Künstler*innen könnten durch betriebsökologische Reformvorgaben allzu sehr in ihrer Kreativität, im ggf. auch materialverschwenderischen Ausprobieren-Können, beschnitten werden. Obwohl diese Sorge kulturpolitisch in Deutschland immer wieder artikuliert wird, stand sie für die Mitarbeiter*innen nicht im Vordergrund.
Hingegen wurde eine andere Lust am Experimentieren in den von mir geführten Interviews positiv spürbar: die nämlich am Verlassen eingespielter Routinen. Dieses reichte von digitalen Beleuchtungsproben (zum Sparen von Strom) über veränderte Probenrhythmen (zur Reduktion täglicher Wege, weshalb ich auf keiner einzigen Abendprobe saß), mehr theaterinterne Partizipation (nicht nur, aber auch im Hinblick auf ökologischeres Produzieren), und Transporte größerer Requisiten mit dem Lastenrad bis hin zum Abbau von ästhetischen Vorurteilen über LED-Beleuchtungsqualitäten. Das Überwinden eines Widerstands gegenüber der neuen Idee bzw. Praxis erschien dabei oft sogar als eine Quelle von unmittelbarem Vergnügen.
Solches Vergnügen am Einbringen, Ausprobieren oder Durchsetzen neuer Ideen zum ökologischeren Produzieren schlug in Ungenügen genau dort um, wo es einer Steuerung bedurft hätte, die innerhalb des Modellprojekts (noch) nicht zur Verfügung stand. In naher Zukunft wird die Leitung des HOT hier vermutlich auf die sanfte Steuerungswirkung einer betriebsinternen Handreichung zum klimaschonenden Arbeiten setzen („Ecological Rider“), die knappe Anweisungen enthalten wird wie „Verzicht auf Verbundstoffe“ oder „Lokal einkaufen“. Obwohl – oder gerade weil – solche Anweisungen nicht genug Tiefenschärfe haben werden, um im strittigen Einzelfall die genaue Lösung vorzugeben, können sie grundsätzlich jenen Mitarbeiter*innen den Rücken stärken, die gegenüber einer hergebrachten Routine – wie z. B. der, Requisiten bei Amazon zu bestellen – eine nachhaltigere Alternative im Spiel halten möchten.
Machtlos wären eine betriebsinterner Eco Rider - und wären auch härtere Regulierungsinstrumente – wie z. B. ein im Podcast mit unserer Gesprächspartnerin von der Berliner Schaubühne diskutiertes CO2-Budget für Bühnenbilder – jedoch an bestimmten wichtigen Schnittstellen des Theaters mit seiner Außenwelt. So machen die Klimabilanzen von Kultureinrichtungen bundesweit immer wieder deutlich, dass bis zu einem Drittel aller Treibhausgasemissionen dem Betrieb der Gebäude zuzurechnen ist. Am Hans-Otto-Theater sind es “nur“ 23,4 Prozent, denn der bezogene Ökostrom ist (weitgehend) emissionsfrei; aus den denkmalgeschützten Reithallen im Kulturquartier jedoch, in denen „eure paläste“ aufgeführt wurde, entweicht die zum Heizen benutzte Fernwärme gefühlt durch jede Ritze. Hätte die Modellproduktion nicht im späten Frühjahr Premiere gehabt, hätte ihre Klimabilanz wohl ganz anders ausgesehen. Die energetische Sanierung wiederum kann ein Theater wie das Hans Otto nicht in Eigenregie stemmen. Hier sind Anstrengungen und Hilfestellungen der kommunalen Eigentümer*innen – in unserem Fall der Stadt Potsdam – genauso gefragt wie bei dem anderen “dicken Brett“ der kulturbetrieblichen Klimabilanzen, nämlich den durch die Anreise des Publikums verursachten Emissionen. Wer einmal versucht hat, an einem späten Abend von der Schiffbauergasse in Potsdam mit Straßenbahn oder Nachtbus wegzukommen, weiß, wovon ich schreibe. Eine abends für den Publikumsverkehr geöffnete Einrichtung leidet unter spärlichem ÖPNV-Angebot in besonderer Weise.
Auf den szenischen Proben von „eure paläste“ übrigens – einem Stück, dass es zentral mit Gewalt, aber auch mit verweigerter Verantwortung in geschichtlichen Entwicklungen zu tun hat – waren die konkreten Chancen und Herausforderungen eines nachhaltigeren Theaterbetriebes nur sehr gelegentlich Thema; oft in Form witzig gemeinter privater Bemerkungen, etwa warum Kollege x jetzt mit einem Kaffee-Pappbecher hier erscheine oder ob man eigentlich überhaupt Scheinwerferlicht anmachen dürfe für die Probe. Dieses Wegfokussieren von „unserem zweiten Projekt“, als das der Regisseur die Klimaneutralitätsanstrengungen bezeichnete, ist in gewisser Hinsicht naheliegend, da man die knappe Zeit für die konkrete szenische Arbeit nicht mit Gesprächen über betriebliche Organisation verbringen kann und will. Gleichwohl stellte sich mir als Beobachter die Frage, ob nicht das Interessante an kulturbetrieblichen Klima-Anstrengungen neben tatsächlich erzielten Emissionsreduktionen nicht vor allem jene sei, das Thema anders zu framen, als etwa eine Schraubenfabrik dies könnte.
Bei „eure paläste“ aber fanden die Konzepte „Klima“ (aus der technisch-organisatorischen Projekt) und „(globale) Gerechtigkeit“ (aus dem künstlerischen), die im Konzept der Nachhaltigen Entwicklung zusammengehören, nur selten wirklich produktiv zusammen. Sätze etwa der spanischen Konquistadoren auf der Bühne, sie seien es, „die pistolenschwingend die wälder roden“, klangen dem informierten Ohr nicht nur nicht plausibel (die grauenvolle Ausrottung der Indigenen in Amerika hatte ja zunächst zu einer massiven Wiederbewaldung der von diesen vorher landwirtschaftlich genutzten Flächen geführt); sie erhielten durch ihre unmittelbare Nähe zu den Bemühungen um Ressourcenschonung hinter der Bühne auch keinen neuen Resonanzraum. So konnte ich das jedenfalls bei einem Publikumsgespräch beobachten, wo die einzige Referenz von Zuschauer*innen auf das „Zero“-Projekt in dem Vorwurf an die Macher*innen bestand, die Gewalttaten besagter Konquistadoren in einer Szene durch das „verschwenderische“ Zerschlagen von Salatköpfen versinnbildlicht zu haben. Dieser Vorwurf konnte durch den Hinweis auf das klimabilanziell minimale Gewicht dieser Salatköpfe zwar rasch ausgeräumt werden – da hatte er jedoch bereits den Blick auf wirklich interessante Fragen verstellt, etwa danach, wie man in westlichen Gesellschaften eigentlich Klimagerechtigkeit erzählen kann oder wo zentrale Konflikte um ökologische Verantwortungsübernahme (und -verweigerung) heute gesellschaftlich verlaufen.
Das konkrete Fragen nach der eigenen Klima-Verantwortung, wie es am Hans Otto Theater in Gang gekommen ist, fühlte sich in meinen zahlreichen Gesprächen gleichwohl nach einem Aufbruch an – einem, dem mehr Beachtung, Ermutigung und auch Hilfestellungen durch die kulturpolitisch Verantwortlichen und durch die Potsdamer Stadtgesellschaft wohl noch zusätzliche Flügel verleihen würden.