Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Infrastructuring environmental (in)justice: Zu den politischen Geographien von Energietechnologien in planetarischen Krisen

06.03.2023

Bauarbeiten an der europäischen Erdgasleitung EUGAL bei Wrangelsburg im Jahr 2019.
Bauarbeiten an der europäischen Erdgasleitung EUGAL bei Wrangelsburg im Jahr 2019.

Die ambivalente Rolle materieller Infrastruktur (und insbesondere großflächiger Energiesysteme) in planetarischen Krisen hat in den letzten Jahren zunehmende wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren. Vor kurzem habe ich dieses Thema in meinem Vortrag in der „Justice in Sustainability“-Vorlesungsreihe behandelt (der Vortrag ist hier in voller Länge abrufbar).

Einerseits werden fossile Infrastruktur wie Öl- und Gas-Pipelines, Kohle-Bergwerke und -Kraftwerke weithin als die „Produktionsmühlen des Anthropozäns“ (A. Esguerra) angesehen, da sie wesentlich zu CO2-Emissionen und zur Zerstörung von Ökosystemen beitragen. Ungeachtet ihres tatsächlichen Potenzials zur Abschwächung des Klimawandels wird der Ausbau der erneuerbaren Energien ebenfalls kritisiert, da er mit einer „infrastrukturellen Kolonisierung“ und einer räumlichen Verdrängung von Umweltbelastungen einhergeht, d. h. mit der Zerstörung und Kolonisierung von Landschaften und Ökosystemen sowie der Aneignung von Land und Niedriglohnarbeit, häufig in peripheren Regionen. Andererseits kann die Umgestaltung und Schaffung von Energietechnologien und -infrastruktur ein wichtiger politischer Hebel für einen sozial-ökologischen Wandel sein, da sie Menschen in die Lage versetzt, bestimmte Dinge (zum Beispiel die Erzeugung und den Verbrauch von Energie) nachhaltiger und demokratischer zu gestalten. Fallstudien zu community renewable energy projects zeigen beispielsweise, wie kleine und dezentrale Energieinitiativen, trotz ihrer vielfältigen Beschränkungen, vorherrschende und oft undemokratische Energiesysteme in Frage stellen und alternative Visionen für nachhaltige Energiezukünfte „von unten“ entwickeln. Unter bestimmten Voraussetzungen können Energieinfrastrukturen daher auch als „Versprechen“ verstanden werden, d.h. als mögliche Ausgangspunkte für eine Neuverteilung der politischen Macht und Demokratisierung.

Ausgehend von dieser paradoxen Charakterisierung habe ich in meinem Vortrag drei miteinander verknüpfte Thesen diskutiert: Die erste besagt, dass Mainstream-Dekarbonisierungs-Strategien in eine Politik der ökologischen Modernisierung und technologischen Kontrolle eingebettet sind, die umweltbezogene Ungerechtigkeiten produziert und verstärkt und die Gefahr birgt, Debatten über planetarische Zukünfte zu entpolitisieren. Vor allem technologiebasierte Ansätze wie grüner und blauer Wasserstoff, die mit einem massiven Ausbau der Energieinfrastruktur einhergehen, lenken von dringend notwendigen systemischen Veränderungen ab. Darüber hinaus bleiben die sozialen Ungerechtigkeiten und Umweltbelastungen, die diese Technologien mithervorbringen und verstärken, oft im Dunkeln, was den Ruf nach einer kritischeren Forschungsagenda zu diesem aufstrebenden Wirtschaftszweig laut werden lässt.

Die zweite These lautet, dass Infrastruktur als Forschungsgegenstand und mehr noch als eine „konzeptionelle Linse“, das heißt als spezifische Forschungsperspektive, vielversprechende Einblicke in die Gerechtigkeitsdimensionen von Nachhaltigkeitspolitiken und ihren politischen Geographien bietet. Insbesondere der aus den Science and Technology Studies und der Anthropologie stammende Begriff des infrastructuring lehnt es ab, Infrastruktur als träge Materie zu betrachten und ermöglicht es, sie als ein Ensemble machtgeladener sozialer Praktiken und als eine dynamische Beziehung zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren und Vertretungen neu zu konzipieren.

Schließlich habe ich drittens argumentiert, dass Infrastruktur nicht nur Schauplatz von Konflikten und Ungerechtigkeiten ist, sondern auch eine transformative Kraft besitzt, die sozialen Wandel herbeizuführen und Umweltgerechtigkeit sowie neue Formen der Zusammenarbeit zu erschaffen vermag. In dieser Hinsicht liefern die politische Theoretikerin Bonnie Honig und der dekoloniale Anthropologe Arturo Escobar wichtige Erkenntnisse. Während Honigs Demokratietheorie der „öffentlichen Dinge“ offenbart, dass öffentliche Infrastruktur wie Straßen, Bibliotheken und Energietechnologien für demokratische und zivile Kollaborationen unverzichtbar ist, betont Escobar die transformative und weltgestaltende Kraft von Gestaltungspraktiken. Insbesondere seine Idee des „autonomen Designs“ zeigt, dass marginalisierte und kolonisierte Gemeinschaften durch kollaborative und experimentelle Praktiken der Gestaltung von Infrastruktur in die Lage versetzt werden, Selbstbestimmung wiederzuerlangen und dekoloniale Welten zu erschaffen.

Als Ausblick stellte ich noch einige Überlegungen und mögliche Beispiele für konviviale Energieinfrastrukturen aus dem nordamerikanischen Kontext vor. Der Gedanke des Konvivialismus, der sowohl eine politische Philosophie als auch eine gelebte Praxis darstellt, wendet sich im Kern gegen die Logik des Neoliberalismus und die menschliche Hybris, die Natur zu kontrollieren. Im Gegensatz dazu betont er die unvermeidliche Interdependenz zwischen Menschen und nicht-menschlichen Dingen und Organismen und die Notwendigkeit der Zusammenarbeit. Beispiele für eine konviviale Infrastruktur sind die Solutionary Rail Initiative oder Projekte für erneuerbare Energien, die von Indigenen Gemeinschaften verwaltet werden. Diese Infrastrukturprojekte zeigen Alternativen zu den Nachhaltigkeitspfaden der ökologischen Modernisierung und der politischen und technologischen Kontrolle auf. Darüber hinaus bringen sie neue Allianzen und Formen der Zusammenarbeit hervor, die die Selbstbestimmung von benachteiligten und kolonisierten Gruppen und Umweltgerechtigkeit fördern können.

Medien

Benno Fladvad: Infrastructuring environmental (in)justice

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