Historische Verantwortung des Kolonialismus: Geschlechtergerechtigkeit für Klimagerechtigkeit
14.04.2022
Von Gina Cortés Valderrama (Women Engage for a Common Future/WECF), Isadora Cardoso (IASS), und Dr. Grace Kageni Mbungu (IASS)
Der Kolonialismus ist in unserer Gesellschaft als monokulturelle Form der Beherrschung tief verwurzelt und prägt nicht nur unser Verständnis der Welt, sondern auch die Welt als solche. Er beeinflusst unsere persönlichen Interaktionen und unseren Umgang mit der Natur, indem er Produktionsmittel festlegt, Körper kommodifiziert und den sozialen Wert von Menschen hierarchisiert. Aus ihm speisen sich bis heute vor allem im Globalen Süden Raubbau an der Natur, sowie an Körpern und Identitäten.
Klimagerechtigkeit berücksichtigt die vergangenen und noch andauernden Auswirkungen des Kolonialismus bei der Entwicklung nationaler, regionaler und lokaler Strategien für Klimaschutzmaßnahmen. Die Bewegung für Klimagerechtigkeit will sicherstellen, dass Staaten für geschlechts- und klimaspezifische historische und aktuelle Ungerechtigkeiten zur Rechenschaft gezogen und so die notwendigen Wiedergutmachungen geleistet werden. Um systemische Transformation zu erreichen, müssen wir Machtverhältnisse und Geschlechternormen aus einer intersektionalen und gemeinschaftsbasierten Perspektive dekonstruieren. Denn ohne Geschlechtergerechtigkeit kann Klimagerechtigkeit nicht erreicht werden.
Klimagerechtigkeit als Forderung für historische Verantwortung
Die Besetzung von Land und die Ausbeutung der Natur, einschließlich des Menschen, kennzeichneten die Art und Weise von Entwicklungsstrategien.
Durch die Kolonialisierung wurden indigene und afroamerikanische Gemeinschaften nicht nur vertrieben, viel mehr wurden ihnen hierarchische Strukturen aufgezwungen, die die Ungleichheit der Geschlechter, sowie Heteronormativität betonten. Cis-Frauen wurde, ebenso wie trans- und nicht-binäre Menschen, im Vergleich zu cis-Männern ein niedriger Status zugewiesen, Grundrechte dieser Bevölkerungsgruppen negiert.
Länder, die heute als „entwickelt“ eingestuft werden (hauptsächlich im globalen Norden), nutzten willkürlich natürliche und menschliche Ressourcen, was zu gewaltsamer Aneignung, Extraktivismus und der Kontrolle, Ausbeutung, Homogenisierung und Auslöschung von Völkern, Kulturen, Territorien und der Natur führte – und den Beginn einer Umweltkrise markiert. Die Besetzten und Ausgebeuteten haben am wenigsten zur Umweltzerstörung beigetragen und leiden doch am stärksten unter den Auswirkungen. Befürwortende von Klimagerechtigkeit versuchen daher, den Geltungsbereich von Klimamaßnahmen zu erweitern, um sicherzustellen, dass auch Menschenrechte und soziale Ungleichheit Beachtung finden.
Die Aufrechterhaltung der kolonialen Ideologie ist wichtige Triebkraft des extraktivistischen Entwicklungsmodells und hat somit großen Einfluss auf eine der dringlichsten Herausforderungen unserer Zeit, den Klimawandel. Die beobachtete Zunahme an Häufigkeit und Intensität von Klima- und Wetterextremen, die sich in den kommenden Jahrzehnten voraussichtlich noch verstärken wird, hat weitreichende Folgen. Vor allem Regionen im globalen Süden drohen dauerhafte Verluste und Schäden an Lebensgrundlagen, Häusern und Territorium, sowie an monetär nicht messbaren Dingen wie Kultur, Identität und biologischer Vielfalt.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Klimagerechtigkeit als Konzept und Bewegung gegründet. Sie erkennt für die Ursachen der Klimakrise an, dass mächtige Menschen in den verschiedenen Phasen von Produktions- und Konsumprozessen Ressourcen der Erde ausgebeutet und die Rechte kolonisierter Gemeinschaften und subalterner Gruppen missbraucht haben, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen und den Status quo zu erhalten. Daraus folgt eine historische Verantwortung reicherer Nationen und Unternehmen, die in der Vergangenheit bis heute willkürlich Reichtum durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und Entnahme gemeinsamer Güter aus unseren Ökosystemen angehäuft haben. Die Klimagerechtigkeitsbewegung veranlasst gerade jüngere Menschen auf die ausbeuterischen Aktivitäten älterer Generationen hinzuweisen und gegen die daraus resultierenden generationsübergreifenden Ungerechtigkeiten zu protestieren.
Nicht vulnerabel – Akteurinnen des Wandels!
Frauen und Mädchen sind von den Folgen des Klimawandels oftmals unverhältnismäßig stark betroffen. Die ungleiche Aufgaben- und Chancenverteilung zwischen Männern und Frauen, anhaltende strukturelle Normen und sich überschneidende Formen der Unterdrückung durch Rassismus, Queerfeindlichkeit und Ableismus prägen die unterschiedlichen Betroffenheiten durch den Klimawandel. Denn wenn eine Krise eintritt, treten bereits bestehende geschlechtsspezifische Ungleichheiten noch deutlicher hervor. Beispielsweise sind Frauen, junge Mädchen und Jungen of color stärker von sexueller Gewalt bedroht und infolgedessen anfälliger für humanitäre Krisen. Intersektionalität kann als Prisma gesehen werden, in dem Diskriminierungsformen oder auch Privilegien zusammenwirken und sich gegenseitig verschärfen können. Mehrfachdiskriminierungen aufgrund von Geschlecht, Rassifizierung, Nationalität, sozioökonomischem Status, Behinderung oder akademischem Niveau haben Frauen in der Vergangenheit Besitzrechte für Land, Zugang zu finanziellen, technischen und institutionellen Ressourcen, Bildung und politischer Teilhabe verwehrt. Stattdessen werden Frauen und Mädchen häufig mit zwar wichtigen, aber wenig wertgeschätzten Aufgaben der Versorgung von Familie und Gemeinschaft betraut, was sie in anderen Bereichen wenig verfügbar macht und damit marginalisiert.
Wie der letzte Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) „Impacts, Adaption and Vulnerability” (2022) argumentiert, blendet die Vorstellung, Frauen seien aufgrund ihres biologischen Geschlechts von Natur aus verwundbar, die komplexen und dynamischen Machtverhältnisse, die in Realität vorliegen, aus und verkennt so strukturelle Ursachen der Ungleichheit. Auch wird klargestellt, dass „Klimagerechtigkeit eine Gerechtigkeit ist, die Entwicklung und Menschenrechte miteinander verbindet, um einen auf Rechten basierenden Ansatz zur Bewältigung des Klimawandels zu erreichen “. Wer Klimagerechtigkeit möchte, muss Frauen gleiche Rechte garantieren – und so Geschlechtergerechtigkeit möglich machen.
Das Weltwirtschaftsforum zieht seit 2006 zur Beobachtung geschlechtsspezifischer Unterschiede die Teilindizes Gesundheit und Überlegen, Bildung und Bildungsstand, wirtschaftliche Teilhabe und Chancen, sowie politische Teilhabe heran. Auch wenn diese weltweit Fortschritte zeigen, bleiben viele Herausforderungen bestehen – und werden sich wahrscheinlich durch die Auswirkungen des Klimawandels und der Covid-19-Pandemie verschärfen. Bemerkenswertes Detail im Bericht für 2021 ist, wie lange es dauern wird, die verbleibenden geschlechtsspezifischen Unterschiede in allen vier Teilindizes zu schließen. Bestehende soziale, wirtschaftliche und kulturelle Bedingungen, die die Bemühungen zur Beseitigung von geschlechtsspezifischer Ungerechtigkeit behindert, spiegeln die Kluften in Ländern des globalen Südens, sowie innerhalb marginalisierter Gruppen im Globalen Norden, wieder. Die Abkehr von Narrativen, die Frauen als verletzlich darstellen und lediglich eine Einbindung in das etablierte patriarchale System fordern, ist ein wichtiger Schritt, um transformative Wege mit geschlechtsspezifischen Ansätzen, die darauf abzielen, strukturelle Ungleichheiten zu verändern und übergreifende Vorteile für das menschliche und ökologische Wohlergehen zu sichern, zu begehen.
Bottom-up-Ansätze für geschlechtsresponsive Klimamaßnahmen
Frauen sind mächtige Akteurinnen des Wandels, die mit ihrem (Fach-)Wissen, ihrer Widerstandsfähigkeit und ihren Erfahrungen zum Prozess der Abschwächung und Anpassung an den Klimawandel beitragen können. Eine Vielzahl von Möglichkeiten für eine nachhaltige Zukunft gehen auf überlieferte Technologien zurück und können, neben der Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs), die demokratischen Rechte und die Teilhabe von Frauen positiv beeinflussen. Bottom-up Ansätze sind gemeinschafts- und kontextbezogen, was dezentralisierte Klimamaßnahmen unterstützt und sie erkennen den Wert und Beitrag des traditionellen Wissens an – und bewirken so Wandel innerhalb der Gemeinschaften und nationalen politischen Rahmenbedingungen. Diese Lösungen lassen sich bereits in verschiedenen Regionen finden, vor allem auf lokaler Ebene.
Der Weg zur Geschlechtergerechtigkeit ist zwar lang und beginnt, je nach Kontext und Problem, an unterschiedlichen Ausgangspunkten, jedoch kann das Lernen von Prozessen, die von Frauen initiiert und angeführt werden, wertvollen Beitrag zum Klimawandel und Nachhaltigkeit leisten. In der Datenbank der Gender Just Climate Solutions können Sie mehr über diese von Frauen geleiteten Bottom-up-Ansätzen für Klimaschutzmaßnahmen erfahren.
Der Weg nach vorn
Der Ausweg aus der Klimakrise und den sich überschneidenden Ungerechtigkeiten, die sie verschärft, liegt in der Transformation kolonialer Modelle und Strukturen in allen Lebensbereichen sowie der notwendigen Wiedergutmachung. Geschlechtergerechtigkeit und Klimagerechtigkeit erfordern Maßnahmen, die die Menschenrechte und insbesondere die Rechte von Frauen und Mädchen in ihrer ganzen Vielfalt, achten. Konkrete Alternativen zum vorherrschenden Entwicklungsmodell existieren bereits – vor Ort, wo echte Lösungen für die Realität gefunden werden. Diese gemeinschaftlichen und kontextbasierten Initiativen stehen im Gegensatz zu individualistischen (z.B. der persönliche Kohlenstoff-Fußabdruck) oder kommerziellen Klimalösungen (z.B. Elektroautos), die letztlich strukturelle Ungleichheiten zum Nutzen einer weniger aufrechterhalten. Von Frauen geführte Initiativen auf der ganzen Welt machen deutlich: Um den Weg zu einer sicheren, sauberen und gesunden Umwelt zu bereiten, müssen wir verschiedene Formen des Wissens integrieren, den Respekt vor kultureller und spiritueller Identität fördern und verschiedene Formen der Unterdrückung beseitigen.