Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Die Bundesregierung will „mehr Fortschritt wagen“: Was bedeutet das für grüne Technologien in Deutschland?

15.02.2022

Grünes Licht für Green Tech.
Grünes Licht für Green Tech.

Grüne Technologien und Unternehmen, die diese produzieren, sind für Deutschland als Technologie- und Industriestandort von großer Bedeutung. Heute machen grüne Technologien, kurz Green Tech, 15 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts aus und „grüne Märkte“ haben ein enormes Wachstumspotenzial. Green Tech liefern Lösungen für die Vermeidung von Emissionen, ermöglichen die Anpassung an Klimaveränderungen, verringern Umweltauswirkungen und sind mit zahlreichen Vorteilen verbunden, darunter Beschäftigungsmöglichkeiten und bessere lokale Luftqualität. Somit können sie einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Ziele in den Bereichen Klima und nachhaltige Entwicklung leisten. Jüngste Entwicklungen kurbeln die Nachfrage nach Green Tech an – darunter der europäische Green Deal, die Covid-19-Sanierungsfonds und das geänderte deutsche Klimaschutzgesetz, wonach Deutschland bis 2045 klimaneutral werden soll. Die neue Bundesregierung hat erklärt, dass sie „mehr Fortschritt wagen“ will. Aber was bedeutet das für grüne Technologien in Deutschland? Kurz gesagt: Die Regierung will vor allem Klima- und Digitalinnovationen beschleunigen und Start-ups, die „Zukunftstechnologien“ anbieten, stärker fördern. Das schafft neue Perspektiven für die Green-Tech-Szene in Deutschland.

Green Tech made in Germany: von etablierten Unternehmen bis zu aufstrebenden Start-ups

Im Jahr 2020 überstieg der Wert des Weltmarktes für Umwelttechnologien und Ressourceneffizienz erstmals die Marke von vier Billionen Euro. Auf Deutschland entfallen rund neun Prozent des globalen Marktvolumens für Umwelt- und Ressourceneffizienztechnologien, mit einer erwarteten jährlichen Wachstumsrate von rund acht Prozent bis 2030. Allerdings wächst die internationale Konkurrenz.

Die wichtigsten Green-Tech-Segmente in Deutschland sind Energieeffizienz und nachhaltige Mobilität. Die Energiewende treibt die Nachfrage nach energieeffizienten Produktionsprozessen, Geräten und Gebäuden sowie nach nachhaltiger Energieerzeugung, -speicherung und -verteilung an. So sind beispielsweise grüner Wasserstoff und Power-to-X potenzielle Schlüsseltechnologien für die Dekarbonisierung der Industrie und des Schwerverkehrs. Auch Lösungen für die Elektromobilität gewinnen an Bedeutung und sind entscheidend für die Dekarbonisierung des Verkehrssektors. Darüber hinaus rücken Technologien für eine nachhaltige und effiziente Wasserwirtschaft in den Fokus, wie sie beispielsweise im Projekt „Digital Water City“ entwickelt und demonstriert werden. Energie- und Wassertechnologien bieten zahlreiche Möglichkeiten für Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit und industrielle Kooperation mit Ländern wie Israel. Mit dem fortschreitenden Klimawandel steigt die Bedeutung von Technologien zur Klimaanpassung und zur Beseitigung und Nutzung von Emissionen.

In Deutschland gibt es rund 6.000 grüne Start-ups [1] und ihre Zahl wächst. Laut Green Start-up Monitor sind rund 30 Prozent aller deutschen Gründungen grün. Der größte Anteil grüner Gründungen findet sich in der Informations- und Kommunikationstechnologie, gefolgt von der Lebensmittel- und Ernährungsbranche sowie der Konsumgüterindustrie. Darüber hinaus machen grüne Gründungen die Mehrheit aller Gründungen in fünf Sektoren aus: Landwirtschaft, Energie, Textilien, Konsumgüter sowie Lebensmittel und Ernährung.

Dennoch stehen grüne Start-ups vor Herausforderungen, insbesondere wenn es darum geht, Kunden zu gewinnen, Kapital zu beschaffen und ihre Produkte zu entwickeln. Initiativen und Netzwerke, die grüne Start-ups fördern und sie mit etablierten Unternehmen, Investoren und Kunden zusammenbringen sowie grüne Technologien sichtbarer machen, wie dies die Innovations- und Wissensplattformen EIT Climate-KIC und Greentech Alliance tun, sind unerlässlich.

Perspektiven für Green Tech in Deutschland

Mehr Fortschritt wagen“ lautet der Titel des Koalitionsvertrags der neuen Bundesregierung. Was bedeutet das für Green Tech?

Erstens ist der Klimaschutz eine der obersten Prioritäten der neuen Bundesregierung und insbesondere des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Das ist eine gute Nachricht. Jetzt muss die Regierung die Rahmenbedingungen schaffen, um Innovationen und Maßnahmen zur Erreichung ihrer Klimaziele zu beschleunigen. Die Unternehmen brauchen einen politischen Rahmen, der Green Tech effizient zur Marktreife und Wettbewerbsfähigkeit führt. In einer Unternehmensoffensive haben 69 deutsche Unternehmen die neue Bundesregierung aufgefordert, innerhalb ihrer ersten 100 Tage im Amt ein Programm zur Klimaneutralität umzusetzen. Ein solches Programm muss ausreichend Kapital für den Ausbau wichtiger Technologien und Infrastrukturen sowie für die notwendigen Investitionen in den Bereichen Energie, Industrie, Gebäude und Mobilität bereitstellen.

Zweitens will die Bundesregierung die Energiewende beschleunigen, den Kohleausstieg „idealerweise“ bis 2030 vollziehen und moderne Mobilitätslösungen ausbauen. Dies bietet Chancen vor allem für die Bereiche Energie und Mobilität, aber auch für den Gebäudesektor. Die Fördermechanismen im Energiesektor sollten ein Schwerpunkt der Regierungspolitik sein. Sie haben den Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in Deutschland unterstützt; und selbst bei sinkenden Preisen für erneuerbare Energien bleiben Fördermechanismen entscheidend für die Förderung von Investitionen und die Erreichung der nationalen Klimaziele. Darüber hinaus schafft das Ziel von 100 Prozent erneuerbaren Energien einen Bedarf an Innovationen wie Elektrolyseuren, Batteriezellen und intelligenten Zählern − Bereiche, in denen Deutschland eine führende Rolle in der Industrie einnehmen und grüne Technologien in Entwicklungs- und Schwellenländer transferieren könnte.

Drittens will die Bundesregierung die Förderung von Start-ups und Gründer:innen verstärken und zu diesem Zweck eine Gründungsstrategie entwickeln. Im Koalitionsvertrag wird die Bedeutung von „Zukunftstechnologien“ und die Aktivierung von Kapital insbesondere für die Klima- und Digitalisierungstransformation der Wirtschaft und der privaten Haushalte erwähnt. Dazu will die Regierung mehr privates Kapital mobilisieren und der staatlichen KfW-Bank als Co-Wagniskapitalgeber höhere Klima-Finanzierungsvolumina zur Verfügung stellen. Diese Entwicklungen sind für Green-Tech-Start-ups sehr vielversprechend. Um die Situation für grüne Gründungen in Deutschland weiter zu verbessern, könnte die Regierung eine neue Förderlinie „Nachhaltigkeit“ einführen oder Nachhaltigkeit zu einem Erfolgskriterium für staatliche Förderprogramme machen, das auch in der Gründungsstrategie verankert werden sollte.

Viertens will die Bundesregierung die Forschung, den Transfer und die Übernahme von Technologien unterstützen, indem sie den Markteintritt und die Zulassung von innovativen Materialien, Technologien und Start-ups erleichtert. Dies bietet Chancen für öffentlich-private Partnerschaften sowie für Forschungs- und Demonstrationsprojekte von Green Tech, die das Potenzial haben, einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung zu leisten. Darüber hinaus will die Regierung eine Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) einrichten. Da Green Tech beim Transfer aus dem Labor in den Markt oft auf spezifische Barrieren stößt, sollte die DATI einen besonderen Fokus auf Green Tech legen. Darüber hinaus ist es zu begrüßen, dass die Regierung durch Mindestquoten bei der öffentlichen Beschaffung sichere Märkte für klimafreundliche Produkte schaffen will.

Fazit

Es ist an der Zeit, dass Deutschland mehr grünen Fortschritt wagt und grüne Technologien vorantreibt, weil sie sowohl der deutschen Wirtschaft Vorteile bringen als auch den Weg Deutschlands zur Klimaneutralität unterstützen. Der von der deutschen Regierung geplante „Fortschritt“ gibt grünes Licht für grüne Technologien und Start-ups. Um die Innovationstätigkeit im Bereich grüner Technologien zu beschleunigen, sollte die Regierung auf eine grüne Infrastruktur und höhere Forschungs- und Entwicklungsausgaben in allen Sektoren setzen und eine ehrgeizige Klimapolitik verfolgen, zu der grünes Unternehmertum und eine auf Innovation ausgerichtete Industriepolitik gehören.

 

[1] Die Zahl basiert auf Schätzungen der Gesamtzahl der Start-ups im Jahr 2018 und des Anteils der grünen Start-ups zu diesem Zeitpunkt; siehe Green Startup Monitor 2018 (S. 51).


Dieser Artikel wurde ursprünglich vom Israel Public Policy Institute (IPPI) und der Heinrich-Böll-Stiftung Tel Aviv im Rahmen des Europäisch-Israelischen Forums für Umwelt und Nachhaltigkeit veröffentlicht.

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