Nachhaltige Regionalentwicklung: Wie Kooperationen mit Hochschulen für Praxispartner zum Erfolg werden
05.04.2025
Von David Löw-Beer (RIFS), Benjamin Nölting und Corinna Hartwig (beide HNEE)
Nachhaltige Regionalentwicklung ist ein vielschichtiger Prozess: Es geht darum, eine Region langfristig wirtschaftlich stabil, sozial gerecht und ökologisch verträglich zu gestalten. Dabei müssen Umwelt- und Klimaschutz, wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit in Einklang gebracht werden. Diese Themen betreffen oft unterschiedliche Akteur:innen mit teils gegensätzlichen Interessen. Kooperationen zwischen Wissenschaft und Praxispartner*innen können helfen, Gräben zu überwinden und Lösungsansätze auszuprobieren. Hochschulen bringen wissenschaftliche Expertise ein, während Praxisakteure – Unternehmen, Kommunen oder zivilgesellschaftliche Organisationen – regionale Herausforderungen und Umsetzungsmöglichkeiten aus erster Hand kennen. Während zahlreiche Untersuchungen der Frage nachgehen, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit solche Kooperationen zum Erfolg für Hochschulen werden, gibt es bislang kaum Forschung zu den Perspektiven von Praxispartner*innen auf diese Kooperationen.
Dieses Thema haben wir – Wissenschaftler*innen des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit (RIFS) und der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) – untersucht. Anhand der transdisziplinären Transferprojekte InNoWest und WIR 4.0 haben wir analysiert, welche Erwartungen Praxispartner*innen an die Zusammenarbeit mit Hochschulen haben und wie ihre Vorstellungen von nachhaltiger Regionalentwicklung mit denen der Hochschulforschenden zusammenpassen.
Nachhaltige Regionalentwicklung – ein gemeinsamer Aushandlungsprozess
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass nachhaltige Regionalentwicklung unterschiedlich verstanden wird. Die Hochschulangehörigen neigen dazu, Nachhaltigkeit eher konzeptionell und langfristig zu denken, während Praxisakteure oft pragmatische und unmittelbar umsetzbare Lösungen bevorzugen. Dennoch zeigt die Untersuchung, dass Praxispartner*innen bereit sind, ihre Nachhaltigkeitsvorstellungen mit denen der Wissenschaftler*innen zu verhandeln – vorausgesetzt, ihre Interessen und der regionale Kontext werden ernst genommen.
Wichtig für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sind daher klare Kommunikation, Vertrauen und greifbare kurzfristige Erfolge. Während die befragten Hochschulangehörigen langfristige Nachhaltigkeitsziele verfolgen, legen Praxisakteure großen Wert darauf, dass Kooperationen direkten Nutzen für ihren Arbeitsalltag oder ihre Organisation bieten. Eine Balance zwischen diesen Perspektiven zu finden, ist entscheidend für den Erfolg der Partnerschaft.
Schrittweise Zusammenarbeit: Vom kleinen Projekt zur langfristigen Kooperation
Ein weiteres wichtiges Studienergebnis ist, dass Vertrauen nicht von heute auf morgen entsteht. Gerade in frühen Phasen der Zusammenarbeit sind kleine, pragmatische Startprojekte hilfreich, um sich kennenzulernen und gemeinsame Interessen zu definieren. Solche Pilotprojekte bieten Raum für Experimente und ermöglichen es beiden Seiten, erste Erfolge zu erzielen, ohne sich direkt auf langfristige Verpflichtungen festzulegen.
Interessanterweise zeigt die Studie auch, dass die Hochschulangehörigen zu Beginn der Kooperationen eine erhebliche Flexibilität im Nachhaltigkeitsverständnis zeigen. Sie gehen zunächst Kompromisse ein aus der Erfahrung, dass sich dadurch langfristig größere und ambitioniertere Nachhaltigkeitsprojekte realisieren lassen. Diese Anpassungsfähigkeit erleichtert es Praxispartner*innen, sich auf die Zusammenarbeit einzulassen und eigene Nachhaltigkeitsziele schrittweise mit denen der Hochschule abzugleichen.
Erfolgsfaktoren für gelingende Kooperationen
Die Analyse der beiden Transferprojekte zeigt drei zentrale Erfolgsfaktoren für nachhaltige Hochschul-Praxis-Kooperationen:
1. Vertrauen aufbauen durch lokal verankerte Initiativen, auch wenn dies bedeutet, Nachhaltigkeitsziele flexibel anzupassen.
2. Strukturelle Rahmenbedingungen schaffen, z. B. durch Beiräte, die Entscheidungsprozesse und inhaltliche Verhandlungen voneinander trennen.
3. Langfristige Vermittlungsstrukturen etablieren, um die Zusammenarbeit über einzelne Projekte hinaus zu verstetigen.
Die Studie verdeutlicht, dass nachhaltige Regionalentwicklung keine Einbahnstraße ist: Hochschulen und Praxispartner*innen gestalten sie gemeinsam, indem sie ihre unterschiedlichen Perspektiven aufeinander abstimmen. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit entsteht dann, wenn beide Seiten Vertrauen aufbauen, pragmatische Wege finden und langfristige Strukturen schaffen, die über einzelne Projekte hinaus Bestand haben.
Link zur Publikation:
- Löw Beer, David; Graf, Verena; Kashlan, Benjamin, Nölting, Benjamin, Roose, Ilka (2025). How practitioners negotiate and balance their goals for regional sustainability transformation in collaborations with universities. Review of Regional Research (2025). https://doi.org/10.1007/s10037-025-00233-3
Zum Foto: Das „Haus mit Zukunft“ in der Stadt Angermünde, das im WIR-Projekt entstand, ist ein Beitrag zur nachhaltigen Regionalentwicklung . Es dient als Zentrum für bürgerschaftliches Engagement und zivilgesellschaftliche Selbstorganisation und beherbergt u.a. Raumstipendiat*innen, Bewegungskurse, künstlerische Angebote, das MINT freiRAUM Projekt des Landkreis Uckermark und das aus dem Innovationsmangement des WIR-Projekt entstandene AngerWERK mit seinen Beratungsangeboten rund um gemeinwohlorientierte Gründung, Transformation und Engagement. Die Stadt als Eigentümerin des Hauses verlangte bislang nur eine symbolische Miete und stärkte dafür ihr symbolisches und kulturelles Kapital und präsentierte sich als innovative, offene Stadtgemeinschaft. Das „Haus mit Zukunft“ wird vom Verein „Stadt mit Zukunft – Angermünde e.V.“ in Kooperation mit der Stadt Angermünde, dem AngerWERK und dem freiRAUM weiterentwickelt. Es bestehen auch weiterhin Kooperationen mit der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.